Unter dem Titel „Wenn du mich noch einmal braune Schokolade nennst - Erleben von Alltagsrassismus bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ wurde eine Studie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) beim Bayerischen Rundfunk veröffentlicht. Darin wurden 1.461 Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 19 Jahren nach ihren Erfahrungen mit Alltagsrassismen befragt. Begleitet werden die Untersuchungsergebnisse von kurzen Erklärungen, wie Vorurteile und Stereotype im Kindes- und Erwachsenalter entstehen, mit Verweisen auf die entsprechende weiterführende Literatur.
Themenbeiträge
Wie Kinder und Jugendliche Alltagsrassismus erleben

Zentrale Ergebnisse der Studie
Mit dem Alter nimmt die Erfahrung von Alltagsrassismus zu. Aber: Schon im Grundschulalter wird jedes dritte Kind mit Zuwanderungsgeschichte danach gefragt, wo es denn „wirklich“ herkomme.
“Du sprichst aber gut Deutsch!“ empfinden in der Grundschule noch 7 von 10 Kindern als Lob, in der weiterführenden Schule nur noch 5 von 10. Des Weiteren empfinden mehr als 6 von 10 Kindern und Jugendlichen mit dunklerer Hautfarbe die Frage als unangenehm.
Vor allem Kinder und Jugendliche, die ihren muslimischen Glauben als eine der zwei wichtigsten Zugehörigkeiten beschreiben, erfahren Alltagsrassismen. 7 von 10 der Beleidigungen kommen von Mitschüler:innen und anderen Kindern oder Jugendlichen.
Wie und wann entstehen Vorurteile und Stereotype bei Kindern und Jugendlichen?
Eine Metaanalyse von 121 Querschnittsstudien kommt zu dem Ergebnis, dass Vorurteile bei Kindern gegenüber anderen ethnischen Gruppen zwischen dem 2. bis 4. Lebensjahr signifikant ansteigen. Einem Höhepunkt findet diese Zunahme zwischen dem 5. und 7. Lebensjahr, bis sie in einem Alter von acht bis zehn Jahren wieder geringfügig, aber doch bezeichnend abnehmen.
Die mittlere Kindheit ist somit die entscheidende Phase, was die Ausbildung von Vorurteilen angeht: Um das 7. Lebensjahr wird ein Höhepunkt in der Ausbildung von Vorurteilen erreicht. Anschließend nehmen diese aufgrund der bis dahin entwickelten sozio-kognitiven Fähigkeiten, wie die Fähigkeit, sich in andere Menschen einfühlen zu können, wieder ab.
Hierbei ist es wichtig, zu beachten, dass dieser Befund nur auf Kinder der Mehrheitsgesellschaft zutrifft. Kinder, die einer sozialen Minderheit angehören, haben gegenüber der sozialen Majorität zunächst keine Vorurteile, sondern oft sogar eine positive Einstellung. Erst später als Folge erfahrener Benachteiligung, entstehen Vorurteile, die sich wesentlich hartnäckiger halten können als bei Kindern mit einem höheren sozialen Status.
Was sind die dicksten Fehltritte, die Weiße machen können?
Dazu sagt Dr. Susan Arndt, Professorin und Buchautorin: Es gibt viele sich überlagernde Ebenen von Alltagsrassismus. Nur eine davon ist die ganz offensive Beleidigung. Andere sind genauso aktiv, wenn auch eher subtil: Alle Roma gleich zu lesen, alle Afro-Deutschen in einen ähnlichen Topf zu werfen. Und das erleben Diskriminierte, dass sie immer als eine Person für alle Personen stehen. Also eine Schwarze Person betritt den Raum, und alle weißen Personen glauben, zu wissen, wer das ist. Weil sie Othering machen. Und dann kommt die dritte Ebene dazu, das ist das Verleugnen von Rassismus. Wir reden gar nicht mehr über diesen offensiven, aggressiven, verbalen und physischen Rassismus, sondern eher über dieses subtile „Wo kommst du her? Du sprichst aber gut Deutsch!?“ Da wird der Rassismus negiert und sich empört: „Ich kann gar nicht rassistisch sein. Ich bin gegen Rassismus.“ Doch: Es reicht nicht, nicht rassistisch sein zu wollen, um ihn zu beenden.
„Es war doch aber nett gemeint.“
Diana-Sandrine Kunis, Social Justice Instituts München (SJIM): Ja, das mag sein. Dann ist es trotzdem rassistisch. Im Prinzip geht es um Menschenrechte. Manche Fragen sind gerade in der Erstbegegnung einfach eine Grenzüberschreitung. Die Frage nach Familiengeschichte, nach Zugehörigkeit ist eine sehr private. Das heißt nicht, dass diese Fragen nicht gestellt werden können. Es ist aber immer eine
Frage von Timing und Kontext. Ich frage ja auch nicht im Smalltalk: „Hat dein Großvater in der SS gedient?“
Empowerment als Erziehungsaufgabe
Rassismus ist eine verschwiegene Erfahrung. Bei den Jugendlichen herrschen Unsicherheiten in der Deutung und Benennung rassistischer Erfahrungen. Oft sind sie deshalb mit der Problematisierung ausgrenzend wirkender Praktiken sehr zurückhaltend. Sowohl in den konkreten Situationen als auch in der rückblickenden Betrachtung. Den befragten Kindern und Jugendlichen fehlen in den beschriebenen Situationen oft die Worte, um zu reagieren.
Dabei stellen Rassismuserfahrungen eine wiederkehrende Verletzung des Selbstwerts einer Person dar. Vor diesem Hintergrund haben Eltern von Kindern, die von Rassismus betroffen sind, die Aufgabe, den Selbstwert ihres Kindes zu schützen. Eine „empowernde“ ethnische Sozialisation durch die Eltern ist demnach von großer Relevanz, um den Stress des Kindes zu begrenzen.
Indem Eltern ihr Kind mit Selbstbewusstsein und Stolz ausstatten, können sie ihm dabei helfen einen inneren Schutzraum zu entwickeln. Durch die Vermittlung von positiven Kenntnissen über die Herkunftskultur gelingt es den Kindern besser sich selbst – unabhängig von der Wahrnehmung der Mehrheitsgesellschaft – zu sehen. Durch die Thematisierung von Rassismuserfahrung in der Familie und durch Konsequenzen aus dem Erlebten, wie z. B.Kontakt zum/zur Vertrauenslehrer: in, wird dem Kind signalisiert, dass Diskriminierung nicht ungestraft stattfinden darf. Zudem ist die Schaffung eines äußeren Schutzraums (in dem das Kind akzeptiert wird und wo Kontakte mit der Diaspora geknüpft werden können) von entscheidender Bedeutung. Daneben sind freundschaftliche Kontakte zu Kindern ohne Migrationshintergrund wünschenswert.
Die vollständige Publikation finden Sie unter folgendem Link: