Worauf sollten pädagogische Fachkräfte bei der Buchauswahl achten?
Franziska Angermann: “Hierbei möchte ich zum einen auf die Frage zuvor verweisen und die Möglichkeit nutzen, den Ball zurückzuwerfen, nämlich an die Kinder und Eltern. Ich erwähnte bereits, dass es hilfreich sein kann zu schauen, welche Kinder unsere Einrichtung besuchen und welche Themen gerade aktuell sind. Diese Beobachtung ist jedoch nur der Anfang: um die Kindorientierung im Fokus zu haben, sollten die Kinder in einem partizipativen Prozess in die Bücherauswahl einbezogen werden.”
Können Sie ein Beispiel nennen, wie Sie partizipativ vorgegangen sind?
Franziska Angermann: “Ich befragte beispielsweise am bundesweiten Vorlesetag die Kinder nach ihren Lieblingsbüchern. Die Antworten waren – wie soll es anders sein- vielfältig! Von „alle!“, über Klassiker wie „Emil und die Detektive“ oder „Dinosaurierbücher“ bis zu Medienhelden der Kinder war vieles dabei. So stellte ich fest, dass es wieder Zeit für neue Dinosaurierbücher und vielleicht auch mal Zeit für ein Buch aktueller TV-Serien wird. Denn diese Bücher sollten nicht problematisiert werden, da sie ebenso einen wichtigen Beitrag zur Leseförderung leisten können, da sie für einzelne Kinder bedeutsam sind.“
"Wenn wir dann bei der konkreten Buchauswahl die verschiedenen Vielfaltsdimensionen im Hinterkopf haben, können wir auch hier Bücher entdecken, die beiläufig vielfältig und ohne diskriminierende Zuschreibungen Geschichten erzählen.
Vielfaltsmerkmale können u. a. sein:
- Menschen mit Behinderungen
- Menschen mit Fluchterfahrungen
- People of Color
- Inter- bzw. transkulturelle/ interreligiöse Lebenswirklichkeiten
- Armutserfahrungen im kindlichen/familiären Alltag
- Identifikationsmöglichkeiten für diverse Familienkonstellationen (z.B. EinElter-Familien, Patchwork- oder Regenbogen-Familien, Familien mit Adoptiv- oder Pflegekindern)
- Wertevielfalt
- Sprachvielfalt und Sprachpraxen (Mehrsprachigkeit, Dialekte, sprachliche Besonderheiten)
- Kulturen und Herkunft erfahrbar machen (Essen, Begrüßungen, Tanzen, Musik, Feste,…)
- Geschlecht, Geschlechterrollen, vielfältige Gender-Identitäten, sexuelle Orientierung, Berufe im Zusammenhang mit Genderrollen
- Menschenrechte, Frauenrechte
- Erfahrungen mit Trauma, Krankheit, Tod
- Politische Einstellungen
- Gefühle aus verschiedenen Sichtweisen erfahrbar machen
- Konsumverhalten
- Umwelt, Umweltbewusstsein, Verhältnis zur Natur
- Wohnort Stadt – Land
- Alter
- …
Die dialogische Bilderbuchbetrachtung ermöglicht es außerdem bspw. in Büchern entdeckte Rollenklischees mit den Kindern direkt zu besprechen. Währenddessen oder danach kann immer noch entschieden werden, Bücher anschließend auszusortieren.“
Welche Fragen helfen dem pädagogischen Fachpersonal bei der Buchauswahl?
Franziska Angermann: “Folgende Reflexionsfragen können ebenso helfen, die eigene Buchauswahl vielfältig zu gestalten:
Kommen Menschen vor, die in unserer Gesellschaft nicht so sichtbar sind?
Wenn ja: Welche Rolle spielen sie?
Treiben sie die Geschichte aktiv voran?
Werden sie auf ihre Diskriminierungsmerkmale reduziert?
Dürfen sich die Charaktere unabhängig von ihren Diskriminierungsmerkmalen entwickeln?
Haben die Charaktere stereotype Merkmale?
Werden sie in einer Weise dargestellt, die Mitleid in den Leser:innen erzeugen soll?
Findet eine Art „Erlösung“ statt? (Zum Beispiel: Eine Behinderung wird geheilt)
Eine weitere Möglichkeit, mehr Vielfalt im Kinderbuch zu erleben, ist Kindern zu ermöglichen, ihre Lieblingsbücher von zu Hause mitzubringen oder auch mal Eltern nach ihren Empfehlungen zu fragen. Neuentdeckungen von echten Schätzen sind dabei garantiert.
Man sollte bei der Buchauswahl vor allem im Blick haben: Bücher sollen Spaß machen – dem Fachpersonal und den Kindern- und natürlich begeistern!“