Seit 2018 nimmt die Kita Regenbogen aus Plauen am Programm WillkommensKITAs teil. Am 14. November 2018 organisierte die Einrichtung ein vierstündiges Netzwerktreffen, um sich mit Akteuren aus der Region auszutauschen und zu vernetzen. Was gab den Anstoß? Welche Themen standen im Fokus? Wir haben bei Kitaleiterin Heike Schmidt und bei ihrer ständigen Vertretung Cathleen Persigehl nachgefragt.
Themenbeiträge
Vernetzung stärkt alle

DKJS: Was gab den Anstoß für das Netzwerktreffen?
Frau Schmidt: Als die ersten Kinder aus anderen Ländern in unsere Kita kamen, haben wir schnell gemerkt, dass wir im Team unterschiedliche Meinungen dazu haben und Vorurteile bestehen. Es kamen Eltern zu uns, die der deutschen Sprache nicht mächtig waren, obwohl sie schon ein halbes Jahr in Deutschland lebten. Da haben wir uns gefragt, warum sie denn nicht arbeiten und unsere Sprache nicht lernen. Keiner von uns wusste, ob es leicht ist für Geflüchtete, Arbeit zu finden. Bekommen sie Schwierigkeiten, wenn sie Sprachkurse nicht belegen? Wie viel Geld steht ihnen im Monat zur Verfügung? Es kursieren ja mal schnell Kontoauszüge im Internet und alle sagen, die Geflüchteten machen nichts und kriegen einen Haufen Geld vom Staat. Es war uns wichtig, uns näher mit diesen Themen zu befassen, weil wir das Gefühl hatten, dass uns da Hintergrundwissen fehlt.
Frau Persigehl: Wir haben beschlossen, verschiedene Institutionen und Experten zusammenzubringen, damit wir uns das nötige Hintergrundwissen aneignen – zum Beispiel zum Asylverfahren. Wir haben uns gefragt, wer uns denn helfen könnte und wer überhaupt in unserer Stadt mit ausländischen Familien zu tun hat. Welche Aufgaben haben die verschiedenen Stellen? Und was kann man da beantragen? Wir sind dann auf die Idee des Netzwerktreffens gekommen, damit wir uns mal mit Fachleuten und mit anderen Einrichtungen zu dem Thema austauschen können.
DKJS: Wen haben Sie zu Ihrem Netzwerktreffen eingeladen und warum?
Frau Persigehl: Insgesamt waren 36 Teilnehmer da, darunter unser Team sowie pädagogische Fachkräfte aus zwei weiteren WillkommensKITAs, eine Vertreterin des Fachbereiches Jugend/Soziales/Schulen/Sport der Stadt Plauen, die Bildungskoordinatorin, die Gleichstellungs-, Integrations- und Frauenbeauftragte des Landkreises, eine Vetreterin einer Sprachschule, eine Sachbearbeiterin des Jobcenters und eine Sozialarbeiterin der Integrationsberatungsstelle.
DKJS: Wie hat das Programm WillkommensKITAs Sie bei der Planung und Umsetzung des Netzwerktreffens unterstützt?
Frau Schmidt: Mehrere Einrichtungen unseres Trägers nehmen am Programm WillkommensKITAs teil und werden von einer erfahrenen Einrichtungsbegleiterin unterstützt. Sie besucht uns regelmäßig und unterstützt uns bei den Themen, die uns bewegen und gibt uns viele Denkanstöße. Es gibt so viele Dinge, die man in der Praxis einfach dahinsagt. Gemeinsam mit einer anderen WillkommensKITA haben wir überlegt, wie wir das Thema den Kolleginnen und Kollegen nahebringen können, damit sie von ihrem vorurteilsbehafteten Denken wegkommen. Wo müssen wir ihnen noch Unterstützung bieten? Wo sind sie zu schnell mit Äußerungen, mit Entscheidungen, mit Vorurteilen? Und woher stammen ihre Vorurteile? Auch beim Netzwerktreffen war unsere Einrichtungsbegleiterin eine große Hilfe und hat uns darin bestärkt, ein Unterstützernetzwerk aufzubauen. Außerdem hat sie das Treffen moderiert. So konnten wir uns voll und ganz auf unsere Fragen und auf die Diskussion konzentrieren.
DKJS: Zu welchen Themen haben Sie sich bei dem Treffen ausgetauscht?
Frau Persigehl: Der Hort Kuntzehöhe hat über seine Erfahrungen als Modellkita im Programm WillkommensKITAs berichtet. Was lief gut? Wo gab es Stolpersteine? Es war sehr informativ, das mal so zu hören. Und auch gut zu sehen, denen ging es nicht anders als uns! Durch den Erfahrungsbericht wurde noch einmal sehr deutlich, dass die Elternarbeit auch Grenzen des Machbaren hat und man sich in der Kita nicht um alle Angelegenheiten der geflüchteten Eltern kümmern kann. Ein Netzwerk ist hier sehr wichtig.
Frau Schmidt: Wir haben auch darüber gesprochen, mit welchen Anliegen wir uns an die betreffenden Stellen wenden können. Wann fragen wir die Bildungskoordinatorin? Bei welchen Themen ist die Integrationsbeauftragte zuständig? Wer kann Eltern beim Ausfüllen von Formularen helfen? Und wohin schicken wir sie, wenn sie Fragen oder Probleme haben? Wir haben erfahren, wie externe Stellen mit Sprachbarrieren umgehen und wofür es Dolmetscher gibt. Die Fachstellen haben uns das Asylverfahren und den Ablauf der Integrationskurse erklärt und Möglichkeiten der Arbeitsvermittlung aufgezeigt. Außerdem ging es um Vorurteile: Wie begegnen wir dem Vorurteil, geflüchtete Menschen würden in Deutschland absahnen? Chancen und Hürden von Integration waren ein weiteres Thema.
Seit dem Netzwerktreffen wissen wir, an wen wir die Eltern verweisen können, wenn wir nicht weiterhelfen können. Das ist für uns eine unheimliche Erleichterung und gibt uns viel Sicherheit.
DKJS: Was konnten Sie für ihre pädagogische Arbeit mitnehmen? Und wo sehen Sie einen Gewinn für Ihr Team?
Frau Schmidt: Das Netzwerktreffen hat uns unheimlich dabei geholfen, aussagekräftiger gegenüber Eltern zu sein, die nicht wissen, wohin sie sich wenden können – z. B. wenn es um die Teilnahme an Deutschkursen geht oder um Amtstermine oder Übersetzungen. Jetzt können wir sagen: Diese und jene Stelle kann Ihnen einen Dolmetscher vermitteln. Oder: Das ist die zuständige Sozialarbeiterin, die hilft ihnen weiter und hat die nötigen Kontakte. Bis dahin kannten wir diese Möglichkeiten gar nicht. Seit dem Netzwerktreffen wissen wir, an wen wir die Eltern verweisen können, wenn wir nicht weiterhelfen können. Das ist für uns eine unheimliche Erleichterung und gibt uns viel Sicherheit.
Frau Persigehl: Es war gut, dass wir uns mal mit dem Jobcenter austauschen konnten. Oft müssen wir Eltern abweisen, weil wir keine freien Plätze haben. Wir haben lange Wartezeiten. Es ist schon teilweise traurig, wenn die Eltern hier in der Tür stehen mit ihrem Kind an der Hand und fragen: Haben Sie Platz? Dann müssen wir sagen: Wir sind voll. Das Jobcenter sanktioniert die Leute dann, obwohl sie ja gar nichts falsch gemacht haben. Wir haben der Sachbearbeiterin vom Jobcenter erklärt, dass wir unsere Planung ein Jahr im Voraus machen und dass wir den Wünschen der Familien, die mitten im Jahr kommen, nicht immer sofort gerecht werden können. Freie Kitaplätze vergeben wir dann vorrangig an Kinder, die sich in der Schulvorbereitungsphase befinden, um sie mit der deutschen Sprache vertraut zu machen. Dabei arbeiten wir eng mit unserem Fachgebiet zusammen. Uns ist bewusst, dass es viel besser ist, die Kinder von klein auf aufzunehmen, dies lässt unsere aktuelle Kapazität aber leider nicht zu.
DKJS: Haben Sie Verabredungen getroffen? Welche weiteren Schritte sind geplant?
Frau Schmidt: Den unterschiedlichen Akteuren ist jetzt bewusster, dass Eltern nicht so einfach einen Kita-Platz bekommen und Kinder meistens eine Phase des langsamen Ankommens brauchen, in der sie ihre Mama oder ihren Papa in der Kita brauchen. Die Fachstellen greifen das Thema Eingewöhnung nochmal auf und informieren Bildungsinstitute und Schulen darüber, dass Eltern bei der Eingewöhnung anwesend sein sollten und es dadurch zu Fehlzeiten bei den Integrationskursen kommen kann. Wir planen für 2019 wieder ein gemeinsam organisiertes Netzwerktreffen und sind dazu bereits im Austausch mit unserer Einrichtungsbegleiterin und den Leitungskräften der WillkommensKITAs unseres Trägers.
DKJS: Welche AHA-Erlebnisse gab es bei Ihnen und Ihren Kolleginnen und Kollegen?
Frau Persigehl: Wir wussten gar nicht, wie schwer es zugewanderte Familien haben. Wie schwer es beispielsweise für sie ist, Arbeit zu finden, wenn sie bestimmte Voraussetzungen nicht erfüllen. Es geht nicht darum, dass sie nicht wollen. Sie können nicht. Sie dürfen teilweise gar nicht.
Frau Schmidt: Wir haben erkannt, dass wir sensibel mit geflüchteten Kindern umgehen müssen. Die Kinder haben sich das nicht rausgesucht, hier in Deutschland zu leben und in eine Kita zu gehen. Sie bringen ihre eigene Geschichte und ihre eigenen Erfahrungen mit. Sie kommen jetzt nicht nach Deutschland und sagen, wir leben ab sofort nach euren Sitten. Das muss man akzeptieren. Und sie dann genauso nehmen wie wir alle 135 Kinder hier nehmen – genau wie sie sind. Das muss bei uns im Kopf einfach Klick machen.
Wenn uns jemand fragen würde, was ist bei euch so besonders? Gar nichts mehr. Das sind keine Kinder, die irgendwie außen vor sind. Die sind integriert. Die machen mit. Als ob sie es immer schon getan hätten.
DKJS: Gibt es noch etwas, das Sie anderen Einrichtungen mit auf den Weg geben möchten?
Frau Persigehl: Wenn uns jemand fragen würde, was ist bei euch so besonders? Gar nichts mehr. Das sind keine Kinder, die irgendwie außen vor sind. Die sind integriert. Die machen mit. Als ob sie es immer schon getan hätten.
Frau Schmidt: Vorher gab es viele Sorgen und Ängste: Wie soll ich geflüchteten Familien denn weiterhelfen, wenn ich selbst nix weiß? Egal wer hier reinkommt: Wir versuchen es. Manchmal halt mit Händen und Füßen. Manchmal ist es in unserem Büro recht laut. Unsere Ängste, dem Thema nicht gerecht zu werden, sind mittlerweile verschwunden.