Die Benachrichtigung durch die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS), dass wir ausgewählt wurden, am Modellprogramm WillkommensKITAs in Sachsen mitzumachen, kam 2014. Zu der Zeit hatte ich Angst, dass uns hier alles über den Kopf wächst.
Das Flüchtlingsheim im Nachbarort gibt es bereits seit vielen Jahren. Die Kinder aus dem Flüchtlingsheim gingen zunächst in die dortige Kita. Unsere Einrichtung gibt es erst seit 2013. Als wir in der Kita unseren Dienst aufnahmen, hatten wir noch ungefähr 25 freie Plätze. Die waren schnell mit geflüchteten Kindern belegt. Die Kita im Nachbarort wurde mit der Eröffnung unserer Einrichtung sofort geschlossen, das heißt, aus unserer kleinen Einrichtung wurde schnell eine große.
Eine Besonderheit bei den Kindern aus dem Flüchtlingsheim ergab sich daraus, dass sie mit dem Kleinbus vom Heim zu uns gefahren wurden. Häufig brachte ein Erwachsener aus dem Flüchtlingsheim vier oder fünf Kinder. So war das ab dem ersten Tag, ohne Eingewöhnung oder Vorgespräche. Morgens um acht Uhr gab ein Elternteil die Kinder bei uns ab und um zwei wurden sie wieder abgeholt. Wir hatten plötzlich bis zu fünf neue Kinder pro Gruppe. Die 13 Erzieherinnen versuchten, das Bestmögliche aus der Situation zu machen und den Mädchen und Jungen ein gutes Ankommen zu ermöglichen. Aber diese Vielzahl an Kindern aus vielen verschiedenen Nationen, mit unterschiedlichen Sprachen, die plötzlich alle vor unserer Tür standen – das wuchs uns über den Kopf.
Nicht allein im Chaos
Zu Beginn des Programms WillkommensKITAs war es erst einmal erleichternd zu hören, es gehe anderen Einrichtungen auch so. Regelmäßig kam eine Einrichtungsbegleiterin zu uns und wir trafen uns mit anderen teilnehmenden Einrichtungen des Modellprogramms bei Netzwerktreffen. Es hat extrem geholfen, dass wir uns in dieser Situation nicht mehr allein gefühlt haben. Außerdem ist recht schnell ein erstes Treffen mit dem Träger zustande gekommen. Dort haben wir formulieren können, was nicht funktioniert. Dabei hielten wir fest, dass sich vor allem bei der Aufnahme etwas ändern müsse. Wir mussten die Möglichkeit bekommen zu sagen: „Wir haben schon zwei Eingewöhnungen, wir verschieben die kommenden um einen Monat.“ Außerdem sollten die Eltern in dieser wichtigen Phase dabei sein. Heute kommen die Eltern in den ersten Wochen morgens mit ihrem Kind, bleiben den Vormittag über hier und nehmen mittags den Bus zurück zur Unterkunft.
Diese Änderung wurde erstaunlich gut angenommen. Seitdem funktioniert die Eingewöhnung viel besser. Außergewöhnlich finde ich, dass zumeist die Väter die Kinder eingewöhnen, selten die Mütter.
Deutsche Sprache als gemeinsamer Nenner
Zu Beginn war bei uns der Aspekt Verständigung ein großes Thema. Wenn fünf geflüchtete Kinder in der Gruppe waren, haben oft alle eine andere Sprache gesprochen. Heute beschäftigt uns das kaum noch. Wenn die Kinder unterschiedliche Sprachen sprechen, so ist deren gemeinsamer Nenner die deutsche Sprache. Die Kinder lernen unglaublich schnell und am besten spielerisch mit anderen Kindern. Wir haben darum Kinderpatenschaften initiiert: Kommt ein Kind neu in die Einrichtung, ist es egal, ob es aus Deutschland, Rumänien oder Syrien stammt. Ein Kind, das schon länger in der Kita ist, übernimmt für dieses Kind die Patenschaft. Es geht mit ihm durchs Haus, zeigt ihm das Badezimmer, die Küche, die Garderoben und den Platz zum Schlafen. Außerdem spielt es mit dem neuen Kind, beschäftigt sich mit ihm und legt sich vielleicht mittags zum Schlafen daneben. So fühlt sich der Neuankömmling in den ersten Wochen an die Hand genommen.
Flexibel im Umgang mit Gewohnheiten
Auch unsere Regeln haben sich gelockert. Früher hieß es zum Beispiel: Wir ziehen zum Mittagsschlaf immer einen Schlafanzug an. Wir erwarteten, dass sich auch geflüchtete Kinder daranhielten, wenn sie zu uns kamen. Manche haben sich zum Mittagsschlaf aber gar nicht ausziehen wollen – sie legten sich mit Strumpfhosen, dicken Hosen und Pullovern hin. Vielleicht spielten deren Fluchterfahrung oder andere Erlebnisse eine Rolle. Am Anfang kämpften wir darum, dass sie sich für den Mittagsschlaf einen Schlafanzug anziehen, weil das bei uns ebenso ist. Aber warum eigentlich? Was passiert, wenn das Kind mittags die Strumpfhose anlässt und nicht die Schlafanzughose anzieht? Nichts passiert. Was wäre hingegen, wenn ich so lange dränge, dass es sich den Schlafanzug anzieht? Dann habe ich ihm meinen Willen aufgedrängt und mich kostet das sehr viel Kraft. Nachdem wir diese Perspektive für uns in der Kita gefunden und aufgehört hatten, täglich zu kämpfen, fiel eine ganze Menge Anspannung von uns ab. Bei den Mahlzeiten sagen wir ja auch: Du isst kein Schweinfleisch. Das ist ok, dann kriegst du eben Huhn.
Alle an einem Tisch
Eigentlich nehmen wir gar nicht mehr so viele Unterschiede wahr. Wir betreuen 150 Kinder. Viele ihrer Eltern arbeiten sehr gut mit. Sie wollen wissen, wie es ihrem Kind geht und fordern Elterngespräche ein. Und wir haben Eltern, die das alles nicht interessiert. Das betrifft jedoch ausländische Familien ebenso wie deutsche. Oft sind es immer die gleichen Eltern, die helfen, Feste zu organisieren. Wirklich wichtig ist, mit ihnen im Gespräch zu bleiben. Und das funktionierte anfangs sogar ohne Dolmetscher. Für den fehlte uns zunächst das Geld, aber die Eltern sind sehr gut organisiert. Jeder spricht irgendeine Sprache und man kann untereinander übersetzen. Inzwischen haben wir die Möglichkeit, über das Modellprogramm der DKJS einen Dolmetscher zu bezahlen, den wir allerdings selten brauchen. Bei uns sind die Eltern, vor allem aus den arabischen Ländern, oft sehr gut vorbereitet, einige sprechen mittlerweile hervorragend Deutsch.
Ansonsten funktioniert vieles – bei ausländischen wie deutschen Eltern – über das Thema Essen. Einmal im Jahr feiern wir das „Fest der Kulturen“. Da haben die Eltern die Möglichkeit, für die Kinder zu kochen. Vor allem unsere ausländischen Eltern engagieren sich enorm: Sie kommen mit riesigen Pfannen an und legen einfach los. Damit zeigen sie auch, dass sie das, was wir leisten, schätzen. Zu Feiertagen wie Ostern, Weihnachten, dem Frauentag oder dem Ende des Kindergartenjahres bringen sie einen Blumenstrauß für die Erzieherinnen mit und bedanken sich. Das haben sie vielen deutschen Eltern voraus.
So harmonisch, wie das alles klingt, ist es aber nicht immer. Es gibt Konfliktsituationen, in denen beispielsweise Väter uns nicht als Respektsperson anerkennen wollen. Diese Männer können wir nicht ändern, wir müssen lernen, mit ihnen umzugehen. Insgesamt hat sich unsere Situation aber sehr entspannt. Besonders schön ist, dass eine der ausländischen Mütter bei uns ehrenamtlich tätig ist. Mittlerweile haben wir verstanden, dass Familien mit Fluchthintergrund nicht anders als andere Familien funktionieren. Und wenn jetzt geflüchtete Kinder zu uns kommen, können wir, anders als noch vor drei Jahren, ganz entspannt mit der Situation umgehen.